Auf zur Demokult(t)our!

Tour de Natur 2006 - ein nachhaltiges Erlebnis

"Kreative Radtour für nachhaltige Verkehrspolitik und Lebensweise"

"Ganze Familien radeln durch Thüringen und Sachsen"
(ein Erlebnisbericht von Helga Heinz)

Als mir Ralph Koehler vom ADFC Ortsgruppe Jerichower Land die Bilder von der 1. Roland- Sternradtour auf einer CD zuschickte, fand ich im Kuvert interessante Flyer von der Tour de Natur. In 14 Tagen startet diese Tour - eine Tour für nachhaltige Verkehrspolitik. Es war also nicht mehr viel Zeit. Ich schaute in meinen Terminkalender, ob ich wichtige Termine hatte. Für meine Radtouren in und um Brandenburg konnte ich eine Vertretung gewinnen. Es war wie ein Fieber. Was mich an der ganzen Sache reizte, war die Tatsache, dass die Friedensradler, die von Paris nach Moskau radelten, uns begleiten sollten. Die Tour de Natur führte von Erfurt nach Görlitz in der Zeit vom 30. Juli bis 12. August. Ich war so neugierig! Schon immer wollte ich die Gegend um Naumburg erradeln. Also fing ich an zu planen. Ich meldete mich über E-mail an, druckte die Zugverbindung aus und schrieb auf eine Liste, was ich alles einpacken musste.

1. Tag: Sonntag 30. Juli Anreise nach Apolda

Die Tour de Natur beginnt heute in Erfurt. Um 9:30 Uhr findet die Auftaktveranstaltung statt. Danach geht es mit dem Rad nach Apolda. Doch ich stehe um 10 Uhr noch am Hauptbahnhof in Brandenburg, weil eine Stadtführung auf dem Plan steht. Zwei Brandenburger kommen. Mit ihnen radle ich durch die Innenstadt und erzähle aus der Geschichte unserer Stadt. Um 12:30 Uhr war ich wieder zu Hause. Ich packe meine Taschen aufs Rad, obendrauf den Schlafsack und das Zelt. Erst um 14 Uhr kann ich mit dem Zug fahren. Im ersten Zug nach Magdeburg komme ich mit einem Lehrer ins Gespräch, der sich mit Yoga beschäftigt - eine nette Unterhaltung, weil auch er viel mit dem Rad unterwegs ist. Das Umsteigen in Magdeburg verlief reibungslos. Nun geht's nach Halle. Ich stehe am Fenster und esse das Schnitzel, ein Ei und einen Apfel. In Halle steige ich in den Zug nach Eisenach. Alte Erinnerungen aus der Studienzeit kommen auf. In Eisenach absolvierte ich ein Fernstudium zum Verkehrsingenieur. Ich kann es kaum erwarten, die Gegend mit dem Fahrrad intensiver erleben zu können.
In Apolda - das Ziel der ersten Etappe - steige ich aus. Von einem jungen fremden Mann werde ich gefragt, ob ich Tourteilnehmer bin. Als ich diese Frage bejahte, umarmte er mich gleich. Er heißt Henry. Wir warten noch einen Zug ab und fahren zu viert zur Jugendbegegnungsstätte. Ich melde mich an und gehe mich duschen. Dann baue ich mein Zelt auf neben dem Zelt von Klaus. Klaus hat die gleiche Trinkflasche wie ich, denn er nahm auch am Rennsteiglauf 1999 teil. Zum Abendbrot gibt es Reis, Salat, Chilisoße und Tee. Wir ernähren uns nur vegetarisch. Das Mampfmobil, ein Kleinbus versorgt uns immer mit Essen. Die Stätte ist gut eingerichtet. Aber es gibt nur eine Dusche! Nach dem Essen werden Hüte (Aufgaben) verteilt und die Route für morgen bekannt gegeben. - nur 30 Kilometer! Um 9:30 Uhr soll gestartet werden, gegen 14 Uhr ist die Ankunft in Naumburg geplant. Die jüngste Teilnehmerin ist 6 Wochen jung und wird noch gestillt. Viele Kinder fahren mit im Schlepp oder auch schon allein. Abends wird musiziert bis ein Sturm aufzieht. Es gewittert, als ich schon im Zelt liege.

2. Tag: Montag, 31. Juli Apolda - Naumburg

Um 5:30 Uhr bin ich schon ausgeschlafen. Ich habe trotz des Sturmes gut geschlafen. Der Himmel ist durchwachsen. Ich gehe mich waschen und finde wirklich nur eine Toilette und ein Bad. Gestern musste ich anstehen, um zu duschen. Heute schlafen noch alle. Um zur Toilette zu gelangen, muss ich an einigen auf der Erde Schlafenden leise vorbei. Bis 9:30 Uhr muss ich mein Zelt eingepackt haben, mein Rad beladen und gefrühstückt haben. Zum Frühstück stehen wir auf der Wiese. Es gibt Kaffee, Tee, Müsli, Brot, Butter, Käse, Marmelade, Honig und Erdnussmarmelade. Ich esse Müsli und drei Vollkornbrotschnitten. Der Kaffee ist gut. Das Geschirr muss abgewaschen werden. Die Schlafhalle und die Sanitäreinrichtungen müssen gereinigt werden, bevor wir starten. Ich habe Zeit und mache mich nützlich.
Um 9:30 Uhr geht es los. Wir fahren nach Naumburg. In Bad Sulza machen wir Pause von 11 bis 12:30 Uhr ohne Mittag. Essen gibt es im nächsten Quartier bei Naumburg. In einem ehemaligen Ferienlager kommen wir an. Am Hang schlage ich mein Zelt auf. Eine kleine Betonrinne trennt mich von den Gänsen. 13 Junge tummeln sich um die Gänsemtti. Nach dem Absatteln fahren einige gemütlich zum 5 km entfernten Freyburg an der Unstrut. Andere radeln nach Naumburg. Die Landschaft ist herrlich. In Freyburg wollen wir noch zur Neuenburg. Ricarda, eine Cellistin am Brandenburger Theater zeigt uns den Weg. Es geht steil hoch, sodass wir - Ricarda, ein junger Mann und ich - die Räder unten stehen lassen. Sie verspricht uns eine herrliche Aussicht und Kuchen. Oben angekommen, ist leider alles geschlossen, auch das Museums-Cafe. Na klar, heute ist doch Montag. Aber wir erleben trotzdem eine kleine Überraschung, denn auf dem Hof wird ein mittelalterlicher Film gedreht. Am verschlossenen großen Tor geben wir uns als Statisten aus und wir dürfen rein. Wir schauen dem mittelalterlichen Treiben zu. Der Regisseur entdeckt uns, schaut uns entsetzt an und hält den Zeigefinger auf seinen Mund. Ein herrlicher Hof! Aber wir müssen uns leider entfernen. Wir gehen den Berg wieder runter und treffen in einem Restaurant auf die anderen Radler. Zu ihnen setzen wir uns ran, trinken Kaffee und essen Kuchen. Danach radeln wir alle gemütlich zurück zum Weinberg, wo wir unser Quartier aufgeschlagen haben. Nach dem Duschen und Abendessen fahren viele zu einer benachbarten Gaststätte, wo das Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbahn Herr Bodack über Persönlichkeitsentwicklung von Managern und Vorstandmitgliedern spricht. Warum handeln die so? Warum werden sie immer geldgieriger? Nach diesen interessanten Einblicken radeln wir zurück zum Quartier. Dort haben die Zurückgebliebenen schon das Lagerfeuer entfacht. Schöne selbstkomponierte Flötenmusik - wie im Mittelalter oder zum Rolandfest. Gegen 23 Uhr versuche ich zu schlafen.

3. Tag: Dienstag, 1. August Naumburg - Bad Dürrenberg

Heute ist zur Abfahrt um 9:30 Uhr das Regional-Fernsehen vor Ort. Sie filmen uns bei der Abfahrt. Erst gegen 9:50 Uhr sind wir startbereit. Unser heutiges Ziel ist Bad Dürrenberg. Ich genieße die herrliche Landschaft, trotzdem ich auf den Vordermann achten muss. Wir werden von der Polizei geführt. Der Gegenverkehr muss anhalten, bis wir ca. 150 Radler vorbei sind. In Sprechchören rufen wir: "mobil ohne Automobil, wir sind ohne Automobil, komm steig um auf die Bahn, auf das Fahrrad, auf die eigene Füße, wir sind ohne Automobil" Volkmar sitzt auf einem Liegefahrrad und hat einen Lautsprecher im Schlepp.
Er bittet die PKW- und LKW-Fahrer höflich, den Motor auszustellen. "Sie tun sich, der Umwelt und uns einen großen Gefallen! Es dauert noch ein Weilchen."
In Weißenfels werden wir auf dem Markt vom Bürgermeister empfangen. Wir zeigen uns mit Musik und Tanz erkenntlich. Hier steht das Mampfmobil. Leider kein warmes Essen. Ich esse eine Bemme mit Käse und eine mit Marmelade. Dazu gibt es Tee. Als wir den Marktplatz wieder verlassen, veranstalten wir noch ein kräftiges Klingelkonzert. Weiter fahren wir nach Bad Dürrenberg. Auch hier werden wir vom Bürgermeister begrüßt. Im Volkshaus dürfen wir übernachten, doch es gibt keine Zeltmöglichkeit. Alle Radler sollen im Saal schlafen. Zum Glück gibt es Nebenräume. Ricarda und ich haben einen Raum mit Auslegware entdeckt. Wir breiten unseren Schlafsack aus. Doch eine halbe Stunde später ist auch dieser Raum überfüllt. Teilnehmerinnen von der Friedensradfahrt haben sich einquartiert. Das ist für uns kein Problem.
Zum Abendbrot gibt es Pellkartoffeln mit Gemüse. Vorher wird beraten, was wir am morgigen Aktionstag machen wollen. Von den Aktiven kommen viele Vorschläge. Nach dem Essen sitzen wir wieder zusammen, um das Programm festzulegen. Angeboten werden: Eine Radtour nach Halle und Workshops zu den Themen: LKW-Verkehr in den Städten und Hintergründe Finanzen vom gestrigen Thema, Transparente malen, Siebdruck, Singen und tanzen.
Heute Abend gibt es noch einen Film. Vorgeführt wird der Film im Saal, wo die Kinder zur Ruhe kommen sollen. Der Film handelt von Gleisbauarbeitern. Die Einsparung des Sicherungsposten hat ein Todesopfer zur Folge. Die Arbeiter haben Angst um ihren Arbeitsplatz und vertuschen die eigentliche Ursache des tödlichen Arbeitsunfalls. Sie schleppen den Toten auf die Straße und verhindern somit eine Untersuchung der Unfallursache. Ich bin wütend über dieses duckmäuserische Handeln.
Die Kinder sind schon eingeschlafen. ich gehe Zähneputzen und versuche zu schlafen.

4. Tag: Mittwoch, 2. August Aktionstag in Bad Dürrenberg

Ich habe gut geschlafen bis 8 Uhr und gehe mich waschen. Nach dem Frühstück gibt es Workshops. Ich nehme am Workshop "Verkehrspolitik" teil. Wir suchen uns einen Platz im Park in Bad Dürrenberg und tauschen unsere Erfahrungen aus. Auch ich melde mich zu Wort über Probleme des LKW-Verkehrs in unserer Stadt, speziell in der historischen Altstadt. Anschließend höre ich mir eine Dokumentation über Atomkraftwerksunfälle an. Es ist beängstigend.
Zum Mittagessen gibt es Gerste. Nach dem Essen ruhe ich ein wenig, dann fahre ich mit dem Rad den Saaleradweg in Richtung Süden. Vom Park aus kann man über das Saaletal schauen. Im Nordwesten sieht man Bitterfeld. Ich fahre also die Saale aufwärts. Vorbei an eingezäunten Rehen - wunderschön und die Landschaft herrlich anzusehen. Ich fahre zum nächsten Dorf gelegen an einem Hang. Auf dem Rückweg kaufe ich im Großmarkt eine Flasche Wein. Als ich wieder im Volkshaus bin, gehe ich mich duschen. Keiner drängelt. Ich lasse mir Zeit. Nach dem Abendessen fahren wir zu einer Gaststätte zum Volkstanz. Es ist lustig. Weil es sehr warm ist, öffnen wir die Fenster, doch ab 22 Uhr müssen die Fenster wegen des Lärms, den wir verursachen, geschlossen werden. Mit Ricarda fahre ich zurück. Im Volkshaus leeren wir die Flasche Wein mit Klaus. Es ist eine nette Unterhaltung. Sein Quartier hat er in der kleinen Küche ohne Fenster eingenommen. Ich würde dort Platzangst bekommen! Nach dem Wein schlafe ich schnell ein.

5. Tag: Donnerstag, 3. August Bad Dürrenberg - Leipzig

Ich habe gut geschlafen. Im Waschraum ist noch kein Andrang. Zelt, Schlafsack und Radtasche trage ich schon zum Fahrrad. Draußen ist eine herrliche Luft, die Sonne lacht. Ich frühstücke und mache mich nützlich. Es dauert wieder eine Zeit, bis alle startklar sind. Mit 10 Minuten Verspätung fahren wir in Begleitung der Polizei nach Leipzig. Nach 30 Kilometern habe ich einen Platten. Ehrenfried pumt das Hinterrad auf. Das Rad fährt sich schwer. Ich bleibe zurück. Noch zwei weitere Male pumt er mir das Rad auf. Zum Glück waren wir gleich am großen Baggersee, wo eine Pause geplant ist. Ehrenfried zieht einen neuen Schlau ein und will nicht, dass ich helfe. Ich laufe also zum See und springe wie die anderen nackig ins Wasser. Es ist klarer als das Ostseewasser. Etwa 30 Badelustige bauen eine Pyramide. Ich muss leider schon wieder zurück laufen zu meinem Fahrrad. Ehrenfried hat es repariert. Nun geht es weiter nach Leipzig, wo uns der Bürgermeister vor dem Rathaus begrüßt. Wir drehen mit Klingelalarm unsere Runden, singen, tanzen und jonglieren. Im Johannapark steht unser Mampfmobil,wo wir im Schatten alter Bäume essen. Anschließend wird eine Aktion auf dem Leipziger Hauptbahnhof geplant. Alles muss gut überlegt sein. Vieles muss beachtet werden. Kinder sollen nicht an der Aktion teilnehmen. Sie bleiben im Park und müssen beaufsichtigt werden. Auch das Gepäck lassen wir zurück. Wir fahren mit dem Rad zum Bahnhof und stellen sie vor dem Bahnhof ab. In der Bahnhofshalle spielen einige von uns Theater, andere musizieren und tanzen. Sie singen: "Unsre Bundesbahn wird verscheuert für nen Appel und nen Ei." Viele von uns verteilen Flyer gegen den Börsengang der Deutschen Bundesbahn. Andere passen auf, dass wir nicht abgeführt werden. Um 16.15 Uhr werden selbst gefertigte Aktien und Flugblätter geworfen. Wir beobachten die Situation und verlassen schließlich um 16.30 Uhr die Bahnhofshalle. Mir scheint, als ob die Bahnbediensteten zufrieden sind, dass es Menschen gibt, die diesen Mut haben.
Keiner von uns wurde wegen Hausfriedensbruch oder Verschmutzung abgeführt. Es geht wieder zurück zum Johannapark, wo die Kinder und das Gepäck auf uns warten. Ein ADFC-Tourenleiter aus Leipzig führt uns vom Park an der Pleiße entlang nach Liebertwolkwitz. Hier gibt es eine Turnhalle und auch die Möglichkeit, Zelte aufzustellen.

6. Tag: Freitag, 4. August Liebertwolkwitz - Wurzen - Oschatz

Heute werde ich durch LKW-Verkehr schon um 5 Uhr geweckt. Nachdem ich nicht mehr einschlafen kann, gehe ich um 6.15 Uhr duschen. Ich warte bis die Dusche frei wird. Ein Mann kommt heraus. Bis es Frühstück gibt, schreibe ich. Einige helfen beim Vorbereiten. Ich habe großen Hunger. Nach dem Frühstück wasche ich mehrere Teller und Tassen ab. Viele Möglichkeiten gibt es, sich nützlich zu machen. Und wieder fahren wir mit Verspätung los. Unsere heutige Strecke hat eine Länge von 60 Kilometern. Ein erster Halt ist am Bahnhof Brandis. Wir wollen gegen die Stilllegung der Nebenstrecke demonstrieren, doch der Bürgermeister und ein Angestellter vom Landratsamt erklären uns, dass die Stilllegung schon beschlossene Sache ist. Wir singen. Nicht viele Schaulustige gibt es hier. Ein Schienenbus fährt ein. Er steht hier 10 Minuten. Wir besetzen ihn und halten Plakate hoch.
Dann geht es weiter auf der B6 und B107 nach Wurzen. Wir müssen von der Straße runter, weil wir einen erheblichen Stau verursacht haben. Dieses Verkehrsaufkommen an LKWs ist schon unerträglich. Nach etwa 15 Minuten weist uns die Polizei wieder auf die Straße.
Und immer wieder rufen wir den Autofahrern zu: "Schalten Sie bitte den Motor ab. Sie tun sich, der Umwelt und uns einen großen Gefallen. Danke." Die meisten Autofahrer haben für unsere Bitte Verständnis, es gibt aber auch welche, die uns total ignorieren. Vor Wurzen auf einer Wiese an der Mulde warten wir sehnsüchtig auf das Mampfmobil. Wir haben Hunger! Es ist erstaunlich, wie ruhig die Kinder sind. Die Musikanten spielen auf. Geige, Flöte, Klarinette und Gitarre. Endlich ist es da. Wir helfen alle bei der Vorbereitung. Nach dem Essen geht es gleich weiter nach Oschatz. Dort baue ich mein Zelt auf. Möglichkeit zum Duschen gibt es etwa 500 Meter weg von hier. Nach dem Abendbrot sitzen wir am Lagerfeuer und singen selbst komponierte Lieder, begleitet von Flötenmusik. Lange kann ich nicht einschlafen.

7. Tag: Sonnabend, 5. August Oschatz - Dresden

Ich habe gut geschlafen. Als Klaus aus seinem Zelt aussteigt, sagt er zu seinem Nachbarn, der auch gerade aus dem Zelt kommt: "ein schöner Tag heute...". Dieser bricht zusammen. Die Krankenschwester Regina ist gleich zur Stelle und betreut ihn. Klaus will bei ihm bleiben und bittet mich, Frühstück ran zu schaffen. Also frühstücken wir vier am Zelt. Der Kranke wird heute mit dem Auto fahren. Trotz dieses Zwischenfalls sind wir pünktlich abfahrbereit. In Oschatz müssen wir am Bahnübergang warten. Ein historischer Zug überquert die Straße. Alle zücken ihren Fotoapparat. Wir fahren auf der B6 nach Meißen und werden richtig bis auf die Haut nass. Und immer wieder müssen wir von der Straße runter, um den Autoverkehr fahren zu lassen. Der Regen hört einfach nicht auf. Wann haben wir endlich wieder ein Dach über dem Kopf! Als wir im Park ankommen regnet es nicht mehr. Wir ziehen uns trockene Sachen an. Es gibt heiße Suppe. Dann geht es weiter zur nächsten Übernachtungsstätte, die sich ca. 20 Kilometer vor Dresden befindet. Es ist ein Pferdestall, wo wir im Heu schlafen könnten. Aber der Regen hat das gesamte Gelände so sehr aufgeweicht, dass wir hier kein Zelt aufschlagen können, also nicht bleiben können. Schnell muss eine andere Übernachtung für 150 Radler organisiert werden. Peggy telefoniert mit der Schule in Dresden, in der wir planmäßig morgen ankommen und zweimal übernachten. Die Kinder wollen hier bleiben bei den Pferden. Nein, wir fahren nach Dresden, wo wir also 3 Nächte bleiben werden. Die Polizei verlässt uns, ihr Auftrag ist erfüllt. Auf eigene Verantwortung führt Peggy eine größere Gruppe sicher zur Schule in Dresden. Eine kleine Gruppe hat sich abgeseilt, um in einem Restaurant Kaffee zu trinken. Und schon wieder regnet es. Wir wollen unser Ziel so schnell wie möglich erreichen. Ich habe zu tun, das Tempo zu halten. Endlich sind wir an der Schule. Zum Zelten hat keiner Bock. In der Turnhalle richten sich 150 Radler ein. Eine Leine wird gespannt. Die Wäsche wird aufgehängt zum Trocknen. Selbst die Schlafsäcke sind nass geworden. Die Kinder sehen das alles gelassener als ich. Sie beschäftigen sich mit Karten- und Würfelspielen. Keiner ist ungeduldig. War das ein nasser Tag! Ich gehe zu den Schnittern, das sind Helfer in der Küche. Ich schneide Basilikum. Nun ist es schon 20.20 Uhr. Zum Glück habe ich eine Turnmatte abbekommen, will mal in der Halle schlafen. Aber inzwischen haben einige doch ihr Zelt aufgeschlagen, ich auch. Wir befinden uns in einem Neubaugebiet. Ein großes Polizeiaufgebot! Ein Feuerwerk ist zu hören. Wir erfahren, dass die NPD aufmarschiert.

8. Tag: Sonntag, 6. August in Dresden

Es regnet die ganze Nacht. In meinem Zelt ist eine große Pfütze. Die Waschtasche und das letzte Handtuch sind nass. Ich gehe duschen und schaue in die Turnhalle. Um 7 Uhr schläft noch alles. Meine Matte habe ich meinem Nachbarn überlassen, aber er liegt wohl lieber auf dem Boden, oder er dachte, ich komme wieder in die Halle. Ich setze mich auf die Matte, verhalte mich leise und schreibe. Um 8 Uhr ist Wecken. Mit der Mundharmonika spielt einer eine schöne Melodie. Nach dem Frühstück wird die Aktion in Leipzig ausgewertet. Die gleiche Aktion soll heute auf dem Albertplatz in der Neustadt wiederholt werden. Der Hauptbahnhof ist wegen Bauarbeiten gesperrt. Ricarda verwaist auf das erhöhte Polizei-Aufgebot wegen des gestrigen NPD-Aufmarsches. Am Vormittag bleiben wir in der Halle, weil es regnet. Wir bedrucken T-Shirts mit dem Tour de Natur - Logo. Nachmittags sind wir auf dem Albertsmarkt und auf dem Hauptbahnhof, der nun doch nicht gesperrt ist. Im Bahnhofsgebäude verteilen wir Flyer und Flugblätter wie in Leipzig. Nur dass wir als Reisende die Blätter aufheben und andere Reisende fragen, was dies zu bedeuten hat. Auf dem Albertplatz musizieren, singen, tanzen und jonglieren wir. Grölende Fußballfans kommen uns näher. Ein Riesenaufgebot von Polizei! Sie erteilt uns einen Platzverweis. Ist unsere Belustigung nicht erwünscht oder will die Polizei uns vor den Fußballfans schützen?
Nach dem Abendessen sehen wir uns den Film "Heinrich, der Säger" an. Das war woanders nicht in der Turnhalle. Der Regisseur ist anwesend und beantwortet unsere Fragen.
Als wir zu unserem Nachtquartier fahren, regnet es wieder.

9. Tag: Montag, 7. August in Dresden

In der Nacht regnet es doll. Ich schlafe in der Turnhalle. Mein Schlafsack ist immer noch nass und mir ist kalt. Ich gehe zur Toilette und im Duschraum halte ich meine Beine unter warmes Wasser. Das tut gut. Nach dem Frühstück gibt es eine verkehrspolitische Stadtführung. Treffpunkt ist an der ältesten Brücke Dresdens. Auf dem Elberadweg entlang geht es zu dem Ort, wo die Waldschlösschenbrücke gebaut werden soll. Eine Mitarbeiterin der Stadtplanung klärt uns auf über Vor- und Nachteile der umstrittenen Waldschlösschenbrücke.
Nach dem Mittagessen gehe ich zum Workshop "Zukunftswerkstatt Stadtentwicklung". Danach werde ich müde und lege mich auf meine Matte. Der Schlafsack hängt zum Trocknen noch auf der Leine. Die Kinder sind laut und wild. Ihnen fehlt sicher das Radfahren. Ich schlafe trotzdem, ich glaube, dass ich Fieber habe. Danach fahre ich ins Zentrum, kaufe Ansichtskarten und eine Haarspange. Eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen gönne ich mir. Wieder im Schulgelände angekommen, habe ich gerade den Anschluss für eine Stadtrundfahrt um Dresden verpasst. Ich schaue zu meinem Zelt. Es ist fast trocken. Mit einem Handtuch wische ich es ab, damit ich es verpacken kann. Die dritte Nacht schlafe ich auch in der Halle. Habe mich nun daran gewöhnt. Eigentlich müsste mein Trettlager geölt werden, es knackt verdächtig. Nach dem Abendessen ist Plenum. Viele haben uns verlassen, aber es sind viele neue dazu gekommen. Es müssen wieder Hüte neu verteilt werden. Morgen früh vor der Abfahrt gibt es viel zu tun.

10. Tag: Dienstag, 8. August Dresden - Deutschbaselitz bei Kamenz

150 Radler kampierten drei Nächte in dieser Turnhalle. Endlich können wir unsere Sachen packen. Ich bin schnell fertig mit dem Frühstücken. Nun machen wir uns an die Reinigung der Halle ran. Ich suche Wischlappen, um den Waschraum der Frauen zu reinigen. Der Hausmeister ist auch schon da, aber er ist unfreundlich und nicht gerade kooperativ. Viele helfen mit. Und immer wieder werden wir beim Saubermachen gestört von Toilettengängern. Trotz der vielen Arbeit sind wir pünktlich fertig und können gegen 9.45 Uhr losfahren. Lange geht es durch Dresden und die Vororte, ehe wir in der Natur sind. Ein langer Berg vor uns! Einige schieben mich an. Das Wetter ist durchwachsen. Mit Jacke schwitze ich. In Seifertsdorf halten wir im Freibad, um uns abzukühlen. Nach dem nackigen Baden haben wir Hunger. Das Mampfmobil ist nach dem Einkauf auch schon angekommen. Das Essen schmeckt auch wieder! Zum Kompott gibt es Pflaumen vom Biobauern gibt es. Die Polizisten verabschieden sich, als der neue Polizeiwagen eintrifft. Auf Nebenstraßen geht es gemütlich nach Pulsnitz, zur berühmten Lebkuchenstadt. Wir singen, musizieren, jonglieren und führen Akrobatik vor. In der Lebkuchenküchlerei kaufen wir uns Lebkuchen. Kurz vor Kamenz passiert etwas: Beim verkehrsbedingten Halten und wieder Losfahren fällt Stephans Sohn (4 Jahre) vom Fahrrad. Das ist ein Schreck! Kurz darauf fährt uns ein PKW , nachdem er die große Radlergruppe vorbeifahren ließ, von rechts in die kleine Gruppe. Er hatte eigentlich Vorfahrt und rechnete nicht mehr mit uns. Wo war unser Streckenposten!? Zum Glück ist nichts weiter passiert, als nur der Schreck. Wir müssen durch Kamenz durch, um nach Deutschbaselitz zum Sport- und Freizeitzentrum zu gelangen. Der Vereinsvorsitzende begrüßt uns. Es ist eine gepflegte Anlage! Ich schlage mein Zelt auf. Heute absolvierten wir 60 Kilometer. Vor dem Abendbrot fahre ich mit Lisa um einen See. Das reinste Paradies für Wasservögel. Nach dem Essen wird am Lagerfeuer gesungen. Traugott, der sonst in der Halle schläft, will in meinem Zelt schlafen. Als er nach etwa 30 Minuten herankommt, melde ich mich nicht. Er schläft hinter meinem Zelt unter freiem Himmel.

11. Tag: Mittwoch, 9. August Kamenz - Bautzen

um 6 Uhr werde ich wach. Ich gehe in den angrenzenden Wald. Ein herrlicher Sonnenaufgang, doch der Himmel zieht sich zu. Wir fahren heute nach Bautzen. Unterwegs besichtigen wir das Kloster Pauschwitz, wo auch unser Mampfmobil das Mittagessen zubereitet hat. In Bautzen angekommen, müssen wir einen Berg hoch zur Fichteschule. Ich baue mein Zelt neben Klaus' Zelt auf. Anschließend laufen viele von uns zum Sorbischen Museum in der Burg. Dazu müssen wir einen schmalen Pfad steil runter zur Spree, die wir überqueren, um wieder steil hoch zur Burg zu gelangen. Ein herrlicher Blick über das Spreetal. Hier gibt es auch noch unsanierte Häuser. Zurück laufen wir über die gleiche Brücke und den schmalen steilen Pfad zur Fichteschule. Als wir ankommen, sind die Anderen schon beim Abendessen. Danach fahren wir mit dem Rad zu einem Jugendclub, wo wir mit dem Betriebsrat von Bombardier zusammentreffen. Die Unterhaltung ist sehr aufschlussreich und interessant. Es ist schon dunkel, als wir zu unserem Quartier in die Fichteschule fahren.

12. Tag: Donnerstag, 10. August Bautzen - Löbau

Es dauert wieder seine Zeit, bis alle startbereit sind. Als wir Bautzen verlassen, geht es eine steile Nebenstraße rauf. Ich blicke zurück. Bautzen hat eine herrliche Silhouette. Auf ruhigen Nebenstraßen geht es durch schöne Landschaften bis zum Lebensgut Pommritz - ein sozialökonomisches Projekt. Wir bekommen auf dem etwa 70 Hektar großen Gutsgelände eine Führung, ehe das Mittagessen fertig ist. Im Philosophiemuseum finde ich Hegel, Voltaire und andere Philosophen bzw. ihre Ideen zu einer alternativen Lebensweise. Ein ehemaliger Arzt und seine Frau sprechen über das Leben ohne Geld. Die Menschen versorgen sich hier selbst. Ein großer Garten und viele Tiere machen dies möglich. Hier kommen Menschen her, die das konsumbedachte Leben satt haben. Einige Tourteilnehmer, darunter auch die Schauspielerin sind entschlossen, hier einige Tage nach der Tour zu verbringen.
Auf der stark befahrenen Bundesstraße 6 geht es weiter. Wir müssen mehrmals ausweichen, um die LKWs, die hinter uns hertuckeln, vorbeifahren zu lassen. In Löbau angekommen, werden wir von einem Stadtangestellten abgehalten, zum Marktplatz zu fahren. Unsere Demonstration ist nicht erwünscht. Also singen und tanzen wir hier, wo wir gerade sind. Unseren Unmut über den Börsengang der DB tun wir kund. Unser nächstes Quartier ist eine Schule am Rande der Stadt Löbau.

13. Tag: Freitag, 11. August Löbau - Görlitz

Das Wetter ist heute nicht so besonders. Der Abschied rückt immer näher. Ich freue mich auf die heutige Abschlussfeier. Vor Görlitz befindet sich unser letztes Quartier am Rande eines Tagebaus auf einem Gutsgelände. Das dazugehörige Schloss ist ruinös unbewohnt. In einer ausgebauten Scheune richten wir uns ein. Die Nebenräume dürfen wir leider nicht nutzen. Einige von uns radeln um den Tagebau, der geflutet wird. Es dauert sehr lange, bis er mit Wasser gefüllt ist. Das wird mal ein herrliches Urlaubsparadies!
Eine andere Gruppe radelt nach Görlitz, um durch die Stadt zu bummeln. Ich bin auch dabei. Die Landschaft ist öde. Was will man auch verlangen, von einer Tagebaulandschaft, aber Görlitz ist eine schöne Stadt. Für morgen ist eine Stadtführung geplant, bevor wir mit dem Zug nach Hause fahren. Und heute fahren wir die alte DDR-Straße zurück zum Quartier am Tagebau. Das Team vom Mampfmobil hat beste Arbeit geleistet. Ein reich gedeckter Tisch zum Abschlussfest!
Das letzte Mal sitzen wir so gemütlich am Lagerfeuer zusammen, um gemeinsam zu singen, zu tanzen und zu erzählen. Die Sonne ist schon lange untergegangen, als wir müde sind.

14. Tag: Sonnabend, 12. August

Am Morgen heißt es, Abschied nehmen. Für alle, die uns bereits an den vorherigen Tagen verlassen hatten, sangen wir das Abschiedslied. Dazu werden diejenigen, die uns verlassen, umstellt. Heute singen es wir alle gemeinsam: "bis wir uns einmal wieder sehen, halt' das Glück ganz fest in deiner Hand". Gemeinsam fahren wir nach Görlitz, wo einige von uns die Gelegenheit nutzen, sich die Stadt anzusehen. Ein Touristikstudent führt uns durch die schöne Stadt. Die Fahrräder haben wir abgestellt. Sie werden bewacht. Gegen 14 Uhr steigen wir in den Zug Richtung Berlin. In Berlin nehme ich Abschied von den Anderen, die weiterfahren in Richtung Mecklenburg.
Dies war eine familienfreundliche und erlebnisreiche Tour. Angefangen hat alles vor 16 Jahren mit einer Radtour unter dem Motto: "bunt und lebendig" . Wie sich dieses Event entwickelt hat, erfahren Sie im Internet. Die Tour de Natur rollt als angemeldeter Demonstrationszug durchs Land und setzt sich ein für bürgerfreundliche Bahnpolitik, Klimaschutz durch vernünftige Verkehrskonzepte, für den Ausbau von Bundesstraßen statt Autobahnen, für die Verlegung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene sowie für nachhaltige Lebensweise und regionales Wirtschaften. Die Organisatioren treffen sich mehrmals im Jahr, um die nächste Tour vorzubereiten. Die Tour führt von Nürnberg über Würzburg nach Darmstadt in der Zeit vom 30. Juli bis 11. August.

 
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Erstellt: 2007 URL: www.tourdenatur.net/erlebnisbericht2006.php letzte Änderung: 01. Mar 2007