Pressespiegel

der
Tour de Natur 2002

Dieser Erlebnisbericht von der Tour 2002 stammt von Claudia Thaler und erschien in gekürzter Form im 'Thüringer Pedalritter', ADFC Thüringen, Herbst 2002. Hier die ungekürzte Fassung:

 

"Die Tour de Natur macht süchtig",

stellten wir, Andreas, mein 12jähriger Sohn Till und ich im vorletzten Jahr fest, und fuhren deshalb diesen Sommer zum dritten Mal mit.

Auch in diesem Jahr führte die - nunmehr 12. - Tour wieder durch (Naturschutz-)Gebiete in Thüringen, Hessen und Franken, die durch überzogene Straßen- und Bahnprojekte zerstört werden sollen. Ein Aspekt der Tour ist deshalb, gegen diese Projekte zu protestieren, die Bevölkerung zu informieren, aber auch die TeilnehmerInnen. Die Besonderheit in diesem Jahr war eine Anschluss-Tour nach Berlin zum Verkehrsministerium, wo Forderungen aus all den durchradelten Gebieten abgegeben werden und mit Verantwortlichen im Ministerium darüber diskutiert werden sollte.
Dieser Teil der Tour reizte uns besonders. Deshalb radelten wir von unserem Wohnort Tübingen aus los, der Tour entgegen, um sie im letzten Tourdrittel in Kaltensundheim zu treffen und von dort aus bis Berlin mitzuradeln.
Nach sechs Tagen zu dritt kamen wir kurz vor einem riesigen Hagel-Unwetter in Kaltensundheim an. Dort sollte in einer Schul-Turnhalle übernachtet werden. Die Tour hatte in Zwickau begonnen und war über Gera, Stadtroda, Jena, Weimar, Erfurt, Gotha, Eisenach, Eschwege und Berka nun den 8. Tag unterwegs.

Ankunft und Verpflegung

Kurz nach unserer Ankunft war auch die Tour da, viele bekannte aber auch unbekannte Gesichter strahlten uns entgegen. Der Kuchen, den wir gekauft, aber dann doch noch nicht gegessen hatten, war ratzfatz in hungrigen Mägen verschwunden.
Endlich gingen wir auch in die Halle und packten unsere Schlafsachen zwischen die anderen, die sich schon auf Turn- und Isomatten ausgebreitet hatten.
Draußen auf dem Schulhof hatte inzwischen das Mampfmobil seine Freiluftküche ausgepackt und eine ganze Reihe TourteilnehmerInnen schnippelte Gemüse für das Abendessen. Das "anders Leben", d.h. Leben in Gemeinschaft, möglichst umweltverträglich, ist ein weiterer Aspekt der Tour. Damit 100-160 Leute während der Tour versorgt sind, müssen alle mit anpacken beim Kochen, Organisieren, Einkauf von Getränken und Putzen. Die Lebensmittel kommen weitestgehend von Ökohöfen in der Umgebung, der abwechslungsreiche und leckere vegetarische Speisezettel richtet sich nach dem, was auf den Höfen gerade zu bekommen ist - und den Ideen des Mampfmobils, das heißt 2-3 KöchInnen, die mit ihrem Transporter die Küche transportieren, unterwegs alle Lebensmittel einkaufen und kochen.

Veranstaltungen unterwegs

An diesem Abend gab es gleich zwei Veranstaltungen: Zuerst eine Führung über einen Biohof, später einen Diavortrag über das Biosphärenreservat Rhön.
Die Führung über den Biohof war insofern etwas Besonderes, als es sich um eine ehemalige LPG handelte, d.h. es ist alles viel größer als bei uns in Süddeutschland. Hier gibt's nicht 20 oder 30 Kühe sondern 800, 200 davon in einem Stall, dazu Unmengen von Kälbern in einem weiteren Stall. Die Kühe werden auf einem großen "Karussell" gemolken, wo drei ArbeiterInnen für je einen Handgriff bei den an ihnen vorüberfahrenden Kühen zuständig sind. Eine holzbetriebene Heizkraftanlage und eine Biogasanlage sind der ganze Stolz des Betriebsleiters.

Auch der Diavortrag war lohnend. Es war spürbar, dass dem Referenten dieses Gebiet sehr am Herzen lag. Mit wunderschönen Bildern stelle er das Schutzgebiet vor, welche Maßnahmen nötig sind, um diese Kulturlandschaft zu erhalten, aber auch wie Menschen durch ihr Fehlverhalten vieles gedankenlos zerstören.

Am nächsten Morgen war es besonders wichtig, dass der Aufbruch wie am Schnürchen klappte, denn es war der erste Schultag nach den Ferien und um 10 Uhr sollte in der Halle wieder Sportunterricht stattfinden. Für die Kinder war es bestimmt witzig, uns aus den Fenstern beim Frühstück am mit Brot, Margarine, Käse, verschiedenen Marmeladen und Nussmus bestückten Tisch zuzusehen. Wie sich jeder nahm, wonach ihm war und sich irgendwo allein oder in Grüppchen auf die Wiese setzte.

Dann mussten aber auch schon die letzten zum Verlassen der Halle aufgefordert werden, die Turnmatten wurden aufgeräumt und einige bewaffneten sich mit Besen oder Putzeimern, kehrten die Halle und putzten die sanitären Anlagen.
In der Zwischenzeit war auch die Polizei eingetroffen. Da die Tour de Natur als Demonstration angemeldet ist, fahren jeweils vorne und hinten Polizeiautos oder Motorräder mit.
Nach verschiedenen Aufrufen, dass es bald los ginge, gings dann wirklich los.
Das Tempo ist meist eher gemächlich, so dass man sich nebenbei mit seinem Nachbarn unterhalten kann oder die oft wunderschöne Landschaft, hübsche Dörfer und Städtchen genießen. Gelegentlich finden sich auch Gesangsgrüppchen zusammen, die eine ganze Reihe Lieder mehrstimmig singen. In den Ortschaften singt dann aber fast die ganze "Herde" das Motto der Tour "Wir sind ohne Auto mobil - komm steig um auf die Bahn, auf das Fahrrad und die eigenen Füße!"
Die Mittagspause wird oft neben dem Mittagessen auch zu Straßenspektakel mit Tänzen, Liedern, Straßentheater und Diskussionen genutzt oder zu Besichtigungen. So gab es in Jena und Eisenach Straßenspektakel, die Kooperative Haina konnte erlebt werden und in Meiningen konnte der Betriebshof der Bahn besichtigt werden.
Auch auf der Strecke gibt es Lokaltermine. Teils mit Leuten von den örtlichen Bürgerinitiativen, die zeigen, wo z.B. Wald und Felder von Autobahnprojekten verschlungen werden sollen. An anderen Stellen, an denen Teilstücke der Autobahn schon gebaut wurden, kann "bewundert" werden, was den Naturschutzgebieten "blühen" wird. In diesem Jahr gab es u.a. auch eine Andacht am Ort eines wegen der deutsch-deutschen Grenze vernichteten Dorfes. Ein Verein hat dort eine Gedenkstätte aufgebaut, die darüber informiert. Gelegentlich schlägt der Tour aber auch harsche Ablehnung entgegen, ganze Dörfer machen sich für eine Autobahn stark, z.B. weil sie hoffen, damit den Verkehr im Dorf los zu werden.

Unterkunft im Kindergarten

Die Quartiere sind meist Sport- oder Gemeindehallen mit Wiesen dabei, auf denen dann die Zelte aufgebaut werden.
Eines der liebenswertesten Quartiere auf der Tour war der Kindergarten in Staffelstein. Im Vorjahr war die Tour aus Quartiernot hierher ausgewichen und es hatte sich bewärt. Außer zwei Toiletten unter der benachbarten Kirche gibt es dort nur noch eine Kindergärtnerinnen-Toilette - und 8 Kinder-Toiletten! Es sah schon sehr witzig aus, wenn die Köpfe der Tourteilnehmer über die niedrigen Abteilungen ragten. Und auch darüber, dass nur eine Dusche für an die 100 Leute da ist, murrte keine/r. Dafür sind Haus und Garten umso netter.

In Coburg stellte sich heraus, dass die Halle, in der übernachtet werden sollte, an diesem Wochenende vom Coburger Vogelschießen, einem lokalen Volksfest, umstellt war, somit das Mampfmobil keine Zufahrtsmöglichkeit hatte. Kurzerhand wurde umgeplant, der Essensplatz auf einen im Umland gelegenen Biohof verlegt. Die Zelter konnten dort ihre Zelte aufstellen, allerdings gab es nur eine Toilette und den Wasserschlauch zum Duschen. -"Warmduscher" mussten in die Halle.
Auch dieses Quartier war reizvoll. Im Stall pickten Hühner mit Küken, auf der Wiese gab's 3 Esel und eine zahme Elster suchte zwischen den Zelten nach Glitzerndem.
An diesem Abend gab es das traditionelle Abschlussessen, zu dem sich das Mampfmobil immer Besonderes einfallen lässt und die Tische besonders schön dekoriert. Genüsslich, aber auch schon ein bisschen wehmütig wurde ein letztes Mal das gute Essen vertilgt.

diesmal: Weiterfahrt nach Berlin

Doch in diesem Jahr ging es ja weiter! Etwa 50 Leute wollten am nächsten Tag weiter radeln. Es begann gleich spannend: würden in Lichtenfels all die Fahrräder in den Zug passen?! Sie passten - wenn auch zum Teil abenteuerlich gestapelt. Rund 150 km wurde die Strecke durch die Bahnfahrt abgekürzt. Eine weitere Besonderheit hatte dieser Teil der Tour: auf der Tour de Natur fährt seit Jahren ein Begleit-PKW mit, um Flugblätter, Musikinstrumente, T-Shirts, Organisationskram aber auch schlappe oder kranke RadlerInnen zu transportieren. Dieses Begleitfahrzeug wurde auf der Berlin-Tour durch zwei Fahrradanhänger ersetzt. Aktionen waren dagegen keine mehr geplant. Stattdessen sollte die Aktion in Berlin vorbereitet werden.
Nach der gemütlichen Bahnfahrt mussten alle Kräfte mobilisiert werden, keiner hatte erwartet, dass das Nachtquartier hinter so vielen Bergen mit holprigen Sträßchen läge (allerdings mit Entschädigung durch viele Mirabellenbäume am Weg, in die wir einfielen wie die Stare)! Dafür hatte dieses zwar wieder mal nur eine Toilette und eine Dusche, aber ansonsten sehr viel Charme. Es war wieder ein Biohof, dieses Mal aber ein kleinerer mit Kühen und Schweinen, einem jungen Hund und drei jungen Katzen. Nicht nur mein Sohn verlor sofort sein Herz an die drei Würfe kleiner, gerade ein paar Tage alter Ferkel! Die "Hallenschläfer" schliefen fast direkt neben den Schweinen im Stroh.
Heuhotel Biohof Gerster 
	(c)2002 Uli Goertz  Schweine im Biohof Gerster 
	(c)2002 Uli Goertz

Das Kochteam hatte gewechselt, auf der Berlin-Tour hatte die Verpflegung das "Kochstudio Morgenland" übernommen, wiederum 3 KöchInnen, die aber vegan kochten. D.h. es gab statt Kuhmilch Sojamilch, keine Butter, keinen Käse, dafür aber sehr leckere Gemüse- und Getreide-Brotaufstriche.

Hilfe, ein Unfall!

Die Route führte über Naumburg, Halle, Dessau, Belzig, und Potsdam nach Berlin und wurde erfreulicherweise immer steigungsärmer - leider bekam ich nicht mehr allzu viel davon mit:
In Halle fuhren wir auf einer Straße mit zwei Straßenbahngleisen als plötzlich ein kurzes altes Gleisstück auftauchte, in das ich mit dem Vorderrad geriet und stürzte. Der Schreck der Tourteilnehmer war groß, alle waren sehr besorgt, zumal auch noch mein Kreislauf schlapp machte.
Allerdings dauerte es nicht allzu lange, da hatte die Polizei ein Taxi herbeigefunkt, das mich die letzten paar Kilometer zum Quartier fuhr. Da ging es mir auch schon wieder besser - allerdings nur, bis sich in der Halleschen Unfallklinik herausstellte, dass der Arm gebrochen war. Wie würde es jetzt weiter gehen?!
Auch da half der Zusammenhalt unter den Touries weiter. Ingrid aus Berlin stellte uns bereitwillig ihre Wohnung in Kreuzberg zur Verfügung. Andreas und ich würden am nächsten Tag mit der Bahn nach Berlin fahren.
Till wollte lieber weiter bei der Tour mitfahren. Deshalb fragten wir Henry, ob er darauf achten wolle, dass mein Sohn nicht verschütt ginge unterwegs, und der war gerne bereit dazu.

 

So verbrachten wir zwei Tage mit der Besichtigung von Berlin und trafen erst am vorletzten Tag in Potsdam wieder mit der Tour zusammen.

Auf zum Verkehrsministerium!

Diese Tage waren offensichtlich auch für die Tour gut verlaufen, inzwischen waren auch Ideen geschmiedet worden, wie man am nächsten Tag die Forderungen und Wünsche aus den Tour-Orten den Verantwortlichen beim Verkehrsministerium übergeben wollte.
Ein kleines Team stellte ein Album mit Zeitungsausschnitten und Bildern aus den Orten und den jeweiligen Forderungen zusammen. Außerdem sollte eine lange "Klagemauer" oder besser "Klageschnur" mit einzelnen Zetteln mit verkehrsapolitischen Forderungen der TourteilnehmerInnen entstehen und einige malten Plakate, auf denen wichtige Forderungen noch einmal groß hervorgehoben wurden.
Am nächsten Tag trafen Andreas und ich am Potsdamer Platz wieder auf die Tour, wo eine Aktion mit BUND-Verkehrsexperte Arne Kordt und den verkehrspolitischen Sprechern von SPD, PDS und Grünen stattfand.

Velotaxi, davor Till
  (c)2002 Malte

Ich war entzückt, dass ich in der Zwischenzeit eines der Berliner Fahrradrikscha-Taxis erwischte und mieten konnte: Gemütlich im Fahrradtaxi sitzend nahm ich an der Demo zum Verkehrsministerium teil.
Ministerialrat Dr. Thilo von Trotha, Pressesprecher Felix Stenschke und die Zuständigen für den nationalen Radverkehrsplan empfingen uns im Hof des Ministeriums. Verkehrsminister Bodewig war leider nicht dabei, dafür gab's Mineralwasser für alle. Anhand der Plakate mit den Forderungen wurden vor allem Bahn-, Fahrradmitnahme- und Fahrradthemen mit den Ministeriumsvertretern zum Teil heiß diskutiert.

Ob es was gebracht hat? Ich hatte nicht den Eindruck, dass wir wenigstens bei den dreien eine Meinungsänderung erreicht hätten. Dazu waren die Standpunkte zu fest, wir vom Ablauf der Diskussion her zu wenig vorbereitet. Dennoch: Es war ein Erfolgserlebnis und ein toller Tour-Abschluss, bis zum Ministerium vorgedrungen, dort empfangen und auch ernst genommen worden zu sein. Die Ministeriumsvertreter nahmen sich Zeit für uns, mehr als doppelt so lange wie vorgesehen. Es machte offensichtlich auch Eindruck, dass es Leute gibt, die sich so für ihre Interessen einsetzen.

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Organisator: ADFC Thüringen Webmaster: Ehrenfried Ehrenstein Pressesprecher: Klaus Schotte
Erstellt: 01.10.2002 URL: www.tourdenatur.net/ps02claudiath.htm letzte Änderung: 01.10.2002